Vanessa Kirby: "Ich sah das Instinktive, das Animalische einer Geburt" (2024)

Für ihre Rolle als Frau, die ihr Baby verliert, erhielt die Schauspielerin Vanessa Kirby den Darstellerpreis in Venedig. Ein Gespräch über den Reiz sehr großer Gefühle

Interview: Patrick Heidmann

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Homeoffice ist Vanessa Kirbys Sache offenkundig nicht. Zwargibt auch sie in Pandemiezeiten Videointerviews am Laptop. Doch statt am heimischen Küchentisch sitzt sie – professionellgeschminkt und mit AirPods im Ohr – lieber in einem Zimmer des luxuriösenCorinthia Hotels, nur eine kurze Autofahrt von ihrem Zuhause in Londonentfernt. Im Hintergrund ist daher lediglich eine beliebige Lampe zu sehen, nicht etwa die goldglänzende Coppa Volpi, alsoder Darstellerinnenpreis des Filmfestivals von Venedig, den die 32-Jährige im September erhielt für ihre Rolle in dem Drama "Pieces of a Woman" desungarischen Regisseurs Kornél Mundruczó. Der Film läuft am 7. Januar auf Netflix an.

ZEIT ONLINE: Miss Kirby, schön, Sie auf diesem Weg sprechen zu können …

Vanessa Kirby: Gleichfalls. Aber diese virtuelle Welt, in der wir unsmomentan bewegen, ist auch ganz schön seltsam, oder?

ZEIT ONLINE: Das können Sie wohl sagen!

Kirby: Ständig diese Zoom-Gespräche zu führen ist vor allem richtiganstrengend. Mir hat neulich jemand erzählt, dass diese Art der Kommunikationnicht nur langweilig, sondern auch besonders mühsam ist. Weil sie nur visuellund nicht haptisch stattfindet, wird scheinbar nur eine ganz spezielle Regiondes Gehirns angesprochen, was uns enorm ermüdet. Deswegen fühlen sich vierStunden Videotelefonate meist an wie acht Stunden eines normalen Arbeitstages.Ich fand das ganz hilfreich zu wissen, dass es tatsächlich einen wissenschaftlichenGrund dafür gibt, dass ich ständig so schlapp bin.

ZEIT ONLINE: Immerhin hatten Sie im vergangenen Jahr ein wenigberufliche Normalität: Im September waren Sie für die Premiere Ihres Films Pieces of a Woman beim real stattfindenden Filmfestival inVenedig.

Kirby: Für mich war es ein kleines Wunder, dass dieseVeranstaltung inmitten einer Pandemie überhaupt stattfinden konnte. Diese Wocheim Spätsommer wird sicher niemand so schnell vergessen, der dabei war. Nach derFilmpremiere auf der Bühne zu stehen und in einen Saal voller klatschenderMenschen zu gucken, die Masken im Gesicht trugen – das hatte selbst etwas voneinem Science-Fiction-Film.

ZEIT ONLINE: Für Ihre Rolle einer Frau, die ihr Kind bei der Geburt verliert, haben Sie den Preis als beste Darstellerin erhalten. Siehaben in der Vergangenheit schon gesagt, dass Sie als Schauspielerin nichtsmehr lieben, als komplexe Figuren mit tiefgehenden emotionalen Erlebnissen zuspielen. Das klingt, als läge diese Frau aus Pieces of a Woman eigentlich genau in Ihrer Komfortzone …

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Kirby: Ja und nein. Zunächst einmal gab es da eine große Distanz.Nicht so sehr wegen der furchtbaren Erfahrung, die sie durchmacht, sondern vorallem, weil diese Frau so anders ist als ich. Martha ist jemand, die mit ihrenGefühlen so gut wie nicht nach außen geht, während ich jemand bin, die garnicht verschlossen ist oder alles mit sich selbst ausmacht. Zu verstehen, wieso jemand mit einer solchen Krise umgeht, war eine echte Herausforderung.Gleichzeitig haben Sie recht: Genau so etwas liebe ich. Menschen zu verstehenlernen, die mit mir selbst eigentlich gar nichts zu tun haben, ist nicht nurspannend, sondern auch ein Privileg. Im Fall von Pieces of aWoman kam natürlich noch das Skript dazu.

ZEIT ONLINE: Was reizte Sie daran?

Kirby: Als ich das Drehbuch las, wusste ich gleich, dass ich soetwas wie die Geburtsszene zu Beginn des Films noch nie gesehen hatte. Die warim Skript 30 Seiten lang, filmisch enorm ambitioniert und vor allem einewahrhaftige Repräsentation einer Geburt – nicht die übliche Filmversion.Außerdem berührte mich die Thematik des Kindesverlusts. Fehl- und Totgeburtensind ja viel häufiger, als man denkt, sie gehören zur Erfahrungswelt derMehrheit aller Frauen. Trotzdem scheint es uns als Gesellschaft enormschwerzufallen, darüber offen zu sprechen. Die Dringlichkeit, mit der dieserFilm daran etwas ändern will, hat mich beeindruckt.

ZEIT ONLINE: Hatten Sie keine Sorge, dass Ihnen die Sache emotional zunahe gehen könnte? Selbst als Zuschauer oder Zuschauerin macht einen Pieces of a Womanziemlich fertig.

Kirby: Mich haben diese Abgründe angezogen. DieBandbreite menschlicher Emotionen und Erfahrungen nachzuempfinden und neue, mirselbst womöglich fremde Seiten der menschlichen Natur kennenzulernen, istschließlich meine Aufgabe als Schauspielerin.

ZEIT ONLINE: Sie gehören also nicht zu den Schauspielerinnen und Schauspielern, die auchnach Drehende noch ihre Figur mit sich herumtragen?

Kirby: Ich bin in der Regel ganz gut darin, eine Rolle am Ende desTages oder zumindest nach Beendigung der Dreharbeiten wieder abzuschütteln.Ausgerechnet dieses Mal war das dann allerdings doch schwieriger als gedacht.Kaum waren wir Ende Februar mit dem Dreh fertig und ich wieder in England, begannder erste Corona-Lockdown. Ich saß also quasi zu Hause fest, konnte weder reisen noch Freundinnen und Freunde treffen oder mich sonst irgendwie ablenken. Alles, was ich normalerweisemache, um meine Figur und ihre Emotionen hinter mir zu lassen, fiel dieses Malweg. Stattdessen blieb ich mit Marthas Traurigkeit sitzen und brauchte ungewohnterweisemehrere Monate, bis ich sie aus meinem System bekam.

Vanessa Kirby: "Ich sah das Instinktive, das Animalische einer Geburt" (2024)
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